Samstag, 14. Juni 2014

Vorschau: Die Herrschaft der Dämonenfürsten

Hallo zusammen!

Der Urlaub ist vorbei. Hier n un für euch zum Reinschnuppern in die kommende Neuerscheinung eine XXL Leseprobe zu "Die Herrschaft der Dämonenfürsten" von Monika Grasl.

Sommer 2014



Monika Grasl

Die Herrschaft der
Dämonenfürsten









Impressum
© fantastic shades Verlag Simone Nikolay, Konz 2014,
1.       Auflage

info@fantastic-shades-verlag.de

© the author

Cover: S. Nikolay
Hintergrundbild: © MamabaB – Fotolia.com

ISBN:  978-3-9816559-8-8 (print)
 978-3-9816559-9-5 (ePub)


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Sieh einem Großfürsten niemals in die Augen, es sei denn deiner Seele verlangt es nach dem Tod.

Gesetz der Großfürsten

Salomo

Hell schien der Mond vom Nachthimmel herab. Aus der Ferne drang der Laut eines Wolfs an Salomo Kaines Ohren. Seine dunkelbraunen Augen starrten auf die Flammen vor sich. Gelegentlich schluckte er den aufsteigenden Kloß in seinem Hals hinab.
Er brachte es nicht fertig, seinen Blick von dem toten Körper abzuwenden. Gleichzeitig versuchte er, seine Gefühle vor den Worten der Priesterin zu verschließen. Aber dies gelang ihm noch weniger. Vielmehr stieg eine nie bestandene Wut in Salomo empor.
„Ein herber Verlust hat unsere Gemeinschaft geschwächt“, hörte er Didi sagen. „Kimi war noch zu jung, um diese Welt zu verlassen. Trotzdem haben ihn die Dämonen geholt und sie werden es erneut tun. Jeden Tag spüren wir ihre Anwesenheit. Jeder Tag ist ein weiterer gestohlener für uns und einer mehr für sie! Doch unsere Wut bringt Kimi aus dem Reich der Toten nicht zurück. Und unser Hass auf diese Wesen schmälert nicht die Trauer seiner Familie. Wir stehen füreinander ein. Jeder von uns. Und wenn einer stirbt, ist es, als würden wir alle in den Tod eingehen.“
Zustimmendes Gemurmel machte sich breit. Salomo Kaine sah zu den Eltern des toten Jungen. Die Hände des Vaters waren zu Fäusten geballt, aber kein Muskel regte sich in seinem Gesicht. Selbst die Frau neben ihm wirkte unbeteiligt. Als wäre es nicht ihr Sohn, der gerade den Flammen übergeben wurde.
Deutlich fühlte Salomo Didis Blicke auf sich. Doch er konnte ihr jetzt keine Beachtung schenken. Es hätte nur dazu geführt, dass er in den vertrauten, braunen Augen die gleiche Abneigung ausgemacht hätte, wie sie jeder Mann und jede Frau im Moment trug. Zudem zeichneten sich auf Didis heller Haut dunkle Schatten ab. Ein verstörender Anblick, weshalb Salomo lieber den Boden zu seinen Füßen betrachtete.
„Jemand sollte etwas gegen diese Monster unternehmen“, drang es an seine Ohren.
Salomo vermied es den Kopf zur Seite zu drehen. Wer gesprochen hatte, wusste er auch so. Einer von Didis Leuten. Männer, die sich in der Bar der Priesterin betranken und bei Kerzenschein tollkühne Pläne anfertigten, welche sowieso nie in die Tat umgesetzt würden.
„Ja“, murmelte Salomo. „Jemand sollte sie aufhalten. Aber wer? Du etwa, Karim? Oder sonst einer von euch Trunkenbolden?! Ihr sitzt bei eurem Schnaps und eurem Brot und glaubt zu wissen, was für die Menschen gut ist. Ich sage, ihr seid nichts als Feiglinge. Versteckt euch hinter den Rücken eurer Frauen, wenn es sein muss und …“
„Salomo“, fiel ihm Didi ins Wort. „Nicht hier und nicht jetzt.“
Er zögerte, blieb jedoch still. Sie hatte recht. Es war nicht der passende Zeitpunkt, um sich zu streiten. In dieser Hinsicht war Didi, mit ihren vierzig Jahren, noch vom alten Schlag. Die Toten wurden geehrt, bis sie von den Flammen verzehrt waren, danach konnte man sich streiten, das zumindest war ihre Ansicht.
Ihr Einwand brachte Salomo dazu sie nun doch anzusehen. Großgewachsen, was unüblich für die heutige Zeit war. Das rotblonde Haar wurde von zwei Metallspangen nur schlecht an seinem Platz gehalten. Immerhin hing ihr eine faustdicke Strähne über das linke Auge. Eventuell sollte es auch die Narbe verdecken, die sich quer über diese Stelle zog.
Das Knistern des Holzes war in diesem Augenblick der einzige Laut unter den Menschen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, bis Didi sich von der Leiche abwandte. Ohne ein weiteres Wort schritt sie an der Familie vorbei und machte sich zu dem verborgenen Eingang auf. Salomo verlor keine Zeit ihr zu folgen. Wobei er sich wohlweißlich einige Schritte hinter ihr hielt.
„Du bist ein verdammter Narr, Salomo“, meinte Didi unvermittelt.
Er fühlte sich überrumpelt, verstand jedoch, warum sie es sagte. Er war gerade einmal fünf Jahre älter, als sie. Trotzdem hatte er sich gerade benommen wie ein dummer Junge.
„Irgendwer muss sie wachrütteln“, hielt er gleichgültig dagegen.
„Für dich mag Nächstenliebe und Mitgefühl Verschwendung sein, aber für diese Menschen ist es lebensnotwendig. Es ist alles was sie haben. Das kannst du ihnen nicht zum Vorwurf machen.“
Salomo ging an ihr vorbei, als wäre nichts gewesen, während er zugleich erwiderte: „Das tue ich auch nicht. Ich halte es Männern, wie Karim, vor. Er ist kein Knabe und braucht auch keine großen Worte zu schwingen. Sie sind ohnehin unnötig. Jeder weiß das.“
„Sie sind meine Leute, Salomo, vergiss das nicht.“
Sie hatten den verborgenen Eingang beinahe erreicht, als Salomo die Frau am Arm packte. Schwungvoll wirbelte er sie zu sich herum und sah ihr finster in die Augen. Jeder andere Mensch hätte längst nachgegeben und den Blick gesenkt, aber nicht Didi. Sie starrte ihm offen entgegen, mit wutverzerrter Miene.
„Wir hatten eine Vereinbarung, Didi. Du kümmerst dich um die Versorgung und den Rest erledigen ich und meine Männer.“
Die Priesterin versuchte seinen Arm abzuschütteln, als sie zischte: „Du und deine Männer, ihr seid für Kimis Tod verantwortlich. Kannst du damit leben, Salomo? Kannst du noch in den Spiegel sehen, ohne dass dir dabei schlecht wird? Antworte!“
„Ja.“
Es war ein einfaches Wort und zudem keine Lüge. Er verspürte wirklich keine Reue. Niemand hatte Kimi dazu gezwungen die Stadt auszukundschaften. Der Knabe hatte sich freiwillig gemeldet und jeder wusste, welche Gefahren bei einer solchen Aufgabe lauerten.
„Du bist ein Monster, Salomo. Ein Mensch ohne Reue, aber vielleicht sind wir das bereits alle“, gestand ihm Didi zu.
„Manche von uns brauchen einfach länger, bis sie diesen Umstand erkennen.“
Damit ließ er sie stehen und betrat den Abwassertunnel. Zugleich sah er über seine Schulter hinweg. Kimis Leiche war längst verbrannt, dennoch standen seine Eltern weiterhin vor dem Funken sprühenden Holzhaufen. Ihnen würde nicht einmal die Asche bleiben, jetzt wo der Sturm aufkam. Es war ein Anblick, welchen Salomo nicht länger ertrug. Immerhin war es ein weiteres Opfer, seit Salomo die Kundschafter regelmäßig ausschickte. Noch dazu eines, das gar nicht notwendig gewesen wäre. Hätten sich Männer wie Karim dafür gemeldet. Aber solche Leute zogen es vor in der Sicherheit auszuharren. Das war es, was Salomo wütend stimmte. Dass richtige Männer unter dieser Bewegung rund um Breslau fehlten. Dass er gezwungen war Kinder in den Tod zu schicken. Doch keinem seiner Leute konnte er das erzählen. Schließlich war er Salomo. Ein Krieger, der stets wusste, was als Nächstes zu unternehmen war.
Mit ausgreifenden Schritten ging er den Tunnel entlang. Dabei fragte er sich nicht zum ersten Mal, wie es soweit hatte kommen können. Eine logische Antwort gab es nicht. Irgendwann war den Großfürsten der Hölle einfach das gelungen, vor dem sich die Menschheit so lange gefürchtet hatte. Sie waren aus ihrem Gefängnis ausgebrochen. Und nun terrorisierten sie die Welt bereits seit Eintausend Jahren. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedachte, dass sie nun das Jahr dreitausendfünfhundert schrieben.
Salomo war so in seine Gedanken vertieft, dass ihm entging, wie sich jemand aus dem Schatten eines Tunnelganges löste. Erst das Geräusch von Stiefeln, die auf Wasser trafen, ließ ihn reagieren. Seine Hand umschloss das Messer und zog es bereits aus dem Gürtel, als er die Gestalt erkannte. Kein Geringerer als Kevin Ritt fand sich neben ihm ein. Den Nachnamen hatte sich der junge Mann selbst gegeben. In der Sklaverei standen den Menschen nur ihre Vornamen zu. Und nur wenige, die befreit worden waren, hatten mit dieser Tradition brechen können. Didi war eine von ihnen.
Schweigend durchschritten sie die Dunkelheit. Einzig Kevins Fackel bot einen schwachen Lichtschein.
„Es waren wohl nicht viele da oben“, brach sein Gegenüber schließlich das Schweigen.
„Nein. Es war ja auch verrückt, ihn zu verbrennen. Aber Didi bestand darauf. Als ob ein Grab mehr oder weniger soviel Unterschied macht.“
Im Fackelschein konnte er ein Grinsen auf Kevins Gesicht ausmachen, ehe dieser erwiderte: „Jetzt sei mal nicht so großspurig, Salomo. Du hättest nicht anders gehandelt, um den Dämonen zu zeigen, dass wir vor ihnen keine Angst haben. Willst du ihr es wirklich zum Vorwurf machen?“
„Nein, allerdings wäre ich mit weit mehr Leuten da hinauf.“
„Didi ist Didi. Sie kann sich alleine helfen. Egal ob gegen Männer oder Großfürsten. Übrigens will Adam dich sehen.“
„Heute nicht mehr. Adam wird sich gedulden. Außer er ist darauf aus, dass ich ihm die Zähne ausschlage.“
„Du machst dir doch keine Vorwürfe wegen dem Knaben? Er wusste um die Gefahr und er wollte es. Du hast ihn nicht gezwungen und jeder der das Gegenteil behauptet, dem hau ich die Zähne ein.“
„Das ist es nicht. Ich frag‘ mich, wie es wohl den ganzen Sklaven ergeht. Heute kam eine Nachricht von den Wäldern nahe Paris. Angeblich haben einige Familien ihre Kinder freiwillig den Großfürsten überlassen, weil sie nicht wissen, wie sie all die Mäuler stopfen sollen.“
„Das wird hier nicht passieren. Wir sind keine verweichlichten Hosenscheißer, die vor ein paar Fürsten zu Kreuze kriechen“, murrte Kevin.
„Mag sein. Aber ich will nicht, dass unsere Leute irgendwann genauso handeln. Noch sind wir in der Lage alle zu versorgen, aber was geschieht, wenn wir es morgen nicht mehr können? Das macht mir Sorgen. Und das sind die Dinge, auf die mir Adam keine Antwort gibt. Darum will ich ihn heute nicht sehen.“
Auch Kevin schwieg nun. Befremdlich, da er sonst mit Drohungen und dergleichen sehr schnell bei der Hand war.
„Erinnerst du dich noch daran, was uns die Alten früher erzählten?“, fragte Kevin. „Was uns Didi erzählte? Sie hat das Ende ihrer Familie miterlebt. Musste zusehen, wie alle abgeschlachtet wurden, weil sie sich gegen ihren Herrn auflehnten. Ich sag dir, auch unter den Sklaven gibt es jene, die frei sein wollen. Das haben wir mehr als einmal gesehen. Und für die müssen wir weiterkämpfen.“
„Du vergisst dabei nur eines, damals waren wir mehr“, hielt Salomo dagegen.
„Blödsinn. Das ist gerade einmal zweiunddreißig Jahre her. Schön, wir mögen Einbußen hingenommen haben, aber das mussten die Großfürsten auch. Vor allem Bael. Er wird genauso wenig aufgeben wie wir. Und das sollte uns als Anreiz genügen. Außerdem solltest du nicht vergessen, dass einige von diesen Arschlöchern da unten dir etwas schuldig sind“, meinte Kevin, als er den Tunnel entlang blickte.
Er hatte durchaus recht. Salomo konnte es nicht abstreiten. Männer – wie Adam – verdankten ihm ihr Leben. Aber es machte gelegentlich den Eindruck, als wären sie damit nicht glücklich.
Es war erstaunlich, wie schnell die Strecke zurückgelegt werden konnte, wenn man sich unterhielt. Genauso erging es nun auch Salomo, als er sich unvermittelt an der letzten Abzweigung wiederfand. Nur mehr ein paar Meter waren zu überwinden, ehe er durch das Abwasserrohr kletterte. Eine Treppe empor und die Tür vor ihm schwang auf, womit ihn der Lärm von Stimmen empfing.
Es kam einem Bienenstock gleich. Überall eilten Leute umher. Die einen lachend, andere mit finsterer Miene und bewaffnet. Jederzeit konnte ein Angriff der Großfürsten bevorstehen, doch bis zum heutigen Tage hatten sie ihre Untergrundbewegung nicht ausgemacht. Und wenn es nach Salomo ging, sollte das auch so bleiben.
Er drehte sich noch einmal zu Kevin um, als er meinte: „Für heute haben wir darüber genug geredet. Lass uns abwarten, wie es weitergeht. Immerhin müssen wir erstmal Ersatz für Kimi finden. Schau dich mal um.“
„Du weißt, dass die Leute nicht begeistert sind, wenn ich durch die Gegend laufe und ihre Kinder begutachte.“
Salomo wandte sich seinem U-Bahn-Waggon zu, während er murmelte: „Wir müssen alle Opfer bringen. Das schließt jene die bei uns Zuflucht suchen nicht aus.“
Er ließ Kevin stehen und schob die Waggontür hinter sich zu. Dabei blieb ihm nicht verborgen, wie sich Adams Körper aus den Schatten, der einstigen Überwachungszentrale, löste. Doch der Gelehrte war klug genug sich fernzuhalten. Morgen wäre noch genügend Zeit, um zu reden.
Mit einem geradezu erleichterten Seufzen trat Salomo an die Wasserschale heran und sah in den Spiegel. Er fühlte sich alt. Müde und mit der Situation überfordert. Immerhin lastete auf ihm der Tod eines Kindes. Aber das würde er niemals zugeben. Außerdem herrschte Krieg, da war so gut wie alles erlaubt.
Er fuhr sich mit dem nassen Tuch über den kahlen Schädel. Zugleich besah er sich die Narben, die sich darauf wiederfanden. Jede einzelne hatte er im Kampf gegen die Dämonen eingesteckt. Mit Ausnahme einer einzigen, die war von seiner toten Schwester. Aber jetzt war nicht die Zeit an sie zu denken. In seinen Träumen würde sie früh genug auftauchen. Dann müsste er ihren Tod noch einmal sehen. Erneut mitverfolgen, wie sich seine eigenen Hände um ihren zarten Hals legten. Wie sie dabei nach einem Krug griff und ihm diesen auf den Kopf schlug. Was ihn jedoch nicht von seinem Unterfangen abbringen konnte. Während sein Blut auf ihr verzerrtes Gesicht tropfte. Und das alles, um sie davor zu bewahren elendig zu verhungern.
Dabei war es das erste und zugleich letzte Mal gewesen, dass sich Salomo selbst die Hände schmutzig gemacht hatte. Seit dieser Handlung schob er solcherlei Aufgaben seinen Leuten zu. Wobei er von Glück reden konnte, dass er jedem von ihnen auf die eine oder andere Weise mal das Leben gerettet hatte. Sonst würden sie ihm wohl kaum folgen.
„Es ist alles nicht so einfach, wie man glauben möchte. Viel zu kompliziert und anstrengend“, murmelte er sich selbst zu.
„Da hast du wohl recht“, ertönte es hinter ihm.
Über den Spiegel hinweg betrachtete er die Frau. Ihren Namen kannte er noch immer nicht. Obwohl sie bereits seit einigen Wochen mit ihm das Bett teilte. Aber wer war er, diesen Umstand durch reden zu zerstören. Vielmehr drehte er sich mit einem anerkennenden Grinsen zu ihr um, als sie den Mantel abstreifte. Darunter ein eng geschnürtes Mieder, welches ihre Vorzüge deutlich hervorhob. Abgesehen von dem knappen Rock. Und überraschenderweise war sie barfuß.
„Hätte nicht gedacht, dass du heute vorbeikommst“, erwiderte er.
Sie legte den Kopf schief und lächelte ihm zu, als sie entgegnete: „Ich auch nicht. Ritt sagte, du könntest Gesellschaft gebrauchen.“
„Mein Bett wartet schon auf dich.“
„Dann sollten wir es doch lieber nicht enttäuschen.“
Die Frau überwand die Distanz zwischen ihnen und streifte sich dabei die restliche Kleidung vom Körper. Salomo konnte keineswegs abstreiten, dass ihm dieser Anblick gefiel. Vielmehr tat er es ihr nach, ehe sie ihre Lippen auf die seinen presste.
Es war wie jedes Mal. Salomo musste die Oberhand behalten und die Frau ließ ihm diese. Zugleich gingen ihm jedoch die ganze Zeit unzählige Dinge im Kopf herum. Die Frage, wie es nun weitergehen sollte war dabei die eindringlichste.
Das anhaltende Stöhnen veranlasste ihn allerdings, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er sah in die grünen Augen der Frau, die von einem leichten Gelbstich durchzogen waren. Im Gegensatz zu ihm war sie kleiner und untersetzter. Zudem wies ihre Haut einen dunkleren Teint auf, als Salomos bleiche Hautfarbe. Obwohl er häufig außerhalb des Untergrundes unterwegs war.
Er ließ sich nicht viel Zeit mit ihr. Als Salomo fertig war, lag die Frau immer noch keuchend auf dem Bett. Er selbst wandte sich dem Buch neben dem Bett zu. Morgen wäre ein wichtiger Tag. Einer, den er keineswegs vermasseln durfte. Darum schlug er die dunkle Hand beiseite, als sich die Frau an ihn drängte.
„Jetzt nicht. Verschwinde!“
„Aber ...“
„Ich sagte, du sollst verschwinden. Ich hab‘ noch zu tun.“
Schnaubend stieg die Frau aus dem Bett.
„Arschloch!“, presste sie hörbar zwischen den Zähnen hervor.
Es zauberte ein Lächeln auf Salomos Gesicht. Er mochte ein Arsch sein. Aber Morgen wäre er der wohl bekannteste Arsch aller Menschen. Und da konnte er ganz gut damit leben, wenn ihn eine Frau verachtete. Sie würde morgen Abend sowieso zurückkommen, das taten sie alle.
Die einen früher, die anderen später.

Decarabia

Aus der Ferne besah sich der Marquis, unter den Dämonenfürsten, das eigenartige Treiben. Warum die Menschen ihre Toten verbrannten, war ihm noch immer unklar. Ein aberwitziger Glaube, dass ihre Toten dann nicht in die Legionen der Großfürsten aufgenommen würden. Dabei waren es doch gerade diese Seelen, welche sich hervor drängten.
Für ihn selbst stellte diese Beobachtung geradezu eine Qual dar. Immerhin war er als Mensch nur selten unterwegs. Doch als Seestern oder Pentagramm hätte er gerade kein Wort verstanden.
Ein süffisantes Lächeln huschte über seine Lippen, als er den kahlgeschorenen Mann reden hörte. Eventuell war er der einzig vernünftige unter all den Leuten. Allerdings schien er auch die größte Gefahr darzustellen.
Der Marquis wandte sein Pferd ab und ritt gemächlich durch den Wald. Eigentlich hatte er nach dem Eingang der Widerständler Ausschau halten sollen, aber diese Information würde Bael wohl bedeutend mehr beeindrucken. Zumindest hoffte er es, war der König doch nur schwer zufriedenzustellen.
Der Mond wanderte mit Decarabia den Weg entlang, als er die Ausläufe der einstigen Stadt Breslau erreichte. Viel war von diesem Ort nicht geblieben. Ein paar Häuser und eine Kirche. Kaum der richte Ort für den König der Hölle. Allerdings war Bael ein bescheidener Großfürst, womit er auf Prunk und Pomp verzichtete.
Decarabia schwang sich vom Pferd und warf einem der Sklaven die Zügel zu. Er liebte es Macht über andere zu haben und gerade deswegen sah er seiner baldigen Abreise nach Paris mit einem gewissen Hochgefühl entgegen.
Mit großen Schritten betrat er das Haus von Bael. Ohne auf die ergebenen Menschen zu achten betrat er den Raum, in welchem Bael weilte. Es war jedes Mal beeindruckend den König der Hölle zu sehen. Wie er auf einem der Stühle saß. Der Körper einer Spinne gepaart mit den Köpfen einer Kröte, eines Menschen und einer Katze. Dazu noch die Krone auf seinem mittleren Haupt. Alles sprach bei seiner Haltung von Autorität und Würde. Niemals käme einer der Großfürsten auf den Gedanken dies zu hinterfragen und die Sklaven vergötterten ihn überraschenderweise.
„Decarabia“, ertönte es heißer. „Ihr seid bereits zurück? Habt Ihr den Eingang gefunden?“
Der Marquis verneigte sich elegant, ehe er erwiderte: „Nein, mein König, jedoch wurde ich Zeuge einer Unterhaltung, unter den Widerständlern.“
„Widerständler. Ich habe Euch bereits gesagt, wie sehr mir dieses Wort missfällt. Widerständler kämpfen für etwas, diese Leute, diese kleinen Maden, haben längst aufgegeben. Und was sollte an ihren Gesprächen wichtiger sein, als an Eurer Aufgabe?!“
Decarabia leckte sich über die Lippen, bevor er antwortete: „Einer von ihnen sprach davon, dass sie sich gegen uns behaupten müssen. Es scheint, als würden sie in den Krieg ziehen wollen.“
„Habt Ihr dafür auch Beweise? Oder ist es rein das, was Euch der Wind zugetragen hat, Decarabia?“
Eine Unruhe stieg in dem Marquis hoch. Wenn Bael seinen Namen mehr als einmal aussprach, konnte das nichts Gutes bedeuten. Zumal er dem König auch keine sinnvolle Antwort geben konnte. Also schwieg er, was dazu führte, dass Bael von seinem Stuhl kletterte.
„Ich schließe aus dieser Stille, dass Ihr es nicht wisst. Kann es sein, dass sie Euch entdeckt haben und darum so sprachen?“
Decarabia senkte den Blick, als er murmelte: „Ich glaube nicht, mein König. Aber ...“
„Ich will nichts hören!“
Selbst jetzt wurde Bael nicht wirklich laut. Seine heißere Stimme kratzte nur einfach in den Ohren des Marquis. Es genügte jedoch, um ihn in die Knie zu zwingen. Zugleich nahm Decarabia seine Gestalt als Pentagramm an. Das sicherste Zeichen für den König, dass er sich dessen Launen unterwarf.
„Ich sollte Euch vernichten“, zischte Bael zornig. „Ihr hattet eine einfache Aufgabe und selbst dieser konntet Ihr nicht nachkommen. Was sollte mich dazu veranlassen, Euch lebend gehen zu lassen?“
„Bitte, mein König, ich habe doch nur angenommen ...“
Bael unterbrach ihn mit einer abwehrenden Handbewegung. Zugleich trippelten seine Beine über den Steinboden hinweg. Eine nachdenkliche Miene war auf seinem Menschenkopf auszumachen. Doch als er sich zu Decarabia zurückdrehte, senkte dieser den Blick.
„Ihr wisst wohl nicht zufällig die Namen dieser Menschen?“
„Ich konnte nur einen vernehmen. Er nennt sich ... Salomo“, flüsterte der Marquis.
Der Katzenkopf gab ein Fauchen von sich, während die Spinnenbeine erneut auf Decarabia zumarschierten. Der gesamte Körper neigte sich bedrohlich über ihn, womit Angst von ihm Besitz ergriff.
„Salomo? Seid Ihr sicher?“, hakte Bael nach.
„Ja, mein König. Ich würde Euch niemals enttäuschen. Wenn Ihr mir gestattet, mich noch einmal auf den Weg zu machen, dann verspreche ich Euch, dass ich bereits bei Sonnenaufgang den Eingang des ... Menschenversteckes gefunden habe. Ich schwöre Euch, meine dreißig dämonischen Legionen warten nur darauf, von Euch in die Schlacht geführt zu werden. Sie werden Euch gewiss niemals enttäuschen. Und ich selbst bin bereit ...“
„Schweigt endlich, Decarabia. Ihr brecht noch heute auf, aber nicht um diesen Mann zu finden. Ihr reitet nach Wien. Berichtet von Großfürst Naberius und Präsident Glasya-Labolas. Wie sich die Menschen ihnen freiwillig angeschlossen haben. Es muss uns auch in anderen Städten gelingen. Je weniger sich auf der Seite dieser ... Gegner befinden umso besser für uns.“
„Wie Ihr befehlt, mein König.“
Decarabia nahm seine Seesterngestalt an und wandte sich bereits zum Gehen, als Bael flüsterte: „Enttäuscht mich nicht, Marquis. Es wäre traurig, Eure Leiche alsbald aufzufinden. Übrigens werdet Ihr in Wien bleiben. Das Leben dort wird Euch gewiss genauso erfreuen, wie jenes in Paris.“
Decarabia musste an sich halten, um keinen Wutanfall zu bekommen. Er kannte Wien und er mochte die Stadt genauso wenig wie den dortigen Regenten, Graf Furfur. Die eigentümliche Engelsgestalt des Grafen war schon eine Beleidigung, aber das er nun für diesen auch noch den Handlanger spielen sollte, war unter seiner Würde. Jedoch blieb Decarabia nichts weiter übrig, als sich erneut vor seinem König zu verbeugen, bevor er den Raum verließ. Zugleich sandte er eine stumme Verwünschung nach Wien aus. Und er hoffte, dass der Graf ihn nicht wirklich bei sich behalten würde.

Didi

Für Didi kam es selten vor, dass sie sich außerhalb ihrer Bar und abseits der Totenweihen mit den Menschen befasste. Dies hing zum einen damit zusammen, dass sie generell eine Einzelkämpferin war. Der zweite, und für sie weit bedeutendere Grund war die einfache Tatsache, dass sie sich selbst mehr vertraute, als ihrer Umgebung. Umso skeptischer besah sich Didi nun den kleinen Glasraum.
Einst hatte er wohl als Kontrollzentrum für die Überwachung der U-Bahn gedient, jetzt lebte Adam darin. Der Mann bezeichnete sich selbst als den Gelehrten unter ihnen. Und wenn Didi ehrlich war, musste sie ihm zustimmen. Schließlich wusste niemand so gut über die Geschichte der Welt bescheid. Aber Adam war kein Kämpfer. In einem Krieg gegen die Großfürsten wäre er wohl der Vermittler, welcher als erster den Tod fand. Jedoch sah Didi ein, dass es auch solche Leute in ihren Reihen geben musste.
„Darf ich erfahren, warum ich eigentlich hier bin?“, fragte sie seufzend.
Adam wandte sich von einer Buchseite ab, als er sie anblickte und murmelte: „Salomo muss endlich einsehen, wie wenig Erfolg er mit seinen Handlungen aufzeigt. Diese Kundschaften müssen eingestellt werden. Sie gefährden das Leben unserer Leute.“
„Wenn man dich so reden hört könnte man annehmen, du bist für die Großfürsten“, warf sie ihm vor.
„Ich bin für die Menschen, die unter seinem Wahnsinn leiden müssen! Warst du es nicht, die ihm gleich danach gesagt hat, dass es unverantwortlich war? Ich halte mit meiner Meinung eben nicht hinter den Berg. Wozu auch? Wenn es nach Salomo ginge, befänden wir uns längst in einem blutigen Kampf.“
„Wer sagt dir, dass wir es nicht bereits sind, Adam?“, ertönte Salomos Stimme von der Tür.
Didi konnte ein leichtes Schmunzeln nicht verhindern, als Adam erschrocken zusammenfuhr. Der Gelehrte hatte Salomos Auftauchen nicht mitbekommen. Doch war Didi davon überzeugt, dass der seine Worte keineswegs anders gewählt hätte.
„Wenn wir es wären, würden wohl mehr Eltern vor meiner Tür stehen, um sich zu beklagen!“, fuhr Adam den Mann an.
Es verblüffte Didi, wie emotional der Gelehrte sein konnte. War er doch sonst für seine ruhige und besonnene Art bekannt.
„Ich denke, wir sollten darüber reden, warum wir eigentlich hier sind, oder?“, kam sie einem aufkommenden Streit zuvor.
Salomo nickte abgehackt, ehe er sich auf einen der Stühle fallen ließ. Dabei legte er die Füße auf den Tisch, was von Adam mit einem hörbaren Schnauben quittiert wurde.
„Wir müssen über die Ausgaben sprechen“, begann Adam ohne Einleitung. „Die Lebensmittel werden knapper. Wenn wir genauso Hauhalten, wie im letzten Jahr, kommen wir gerade irgendwie über den Winter. Allerdings ist die Versorgung der Kranken und Alten kaum gewährleistet.“
„Dann schicken wir eben Boten zu den anderen im Untergrund. Wir haben oft genug einer der Gruppen ausgeholfen, also ist es nur gerecht, wenn sie uns jetzt genauso entgegenkommen“, meinte Salomo gelangweilt.
„Ich denke, du verstehst nicht, Salomo. Uns wird keiner helfen. Nicht mal wenn die Gruppen wollten. Jedem von ihnen fehlt es selbst am Nötigsten. Und da spreche ich noch nicht mal von Medikamenten. Ich rede hier von Getreide und Fleisch. Warum glaubst du, haben sich die Leute in Paris dazu entschlossen, ihre Kinder den Großfürsten zu überlassen?“
Salomo nahm mit einer wutverzerrten Miene die Füße vom Tisch, während er zugleich erwiderte: „Du wirst unsere Leute nicht mit diesen Feiglingen vergleichen! Wir sind besser dran. Wir können unsere Kinder ernähren und bevor ...“
„Bevor, was, Salomo?! Bevor du sie den Großfürsten überlässt, tötest du sie? Paris hat diesbezüglich das einzig Richtige getan. Es mag an der Ausführung gehapert haben, aber sie haben sich für das Leben entschieden. Willst du ihnen das absprechen?!“
Didi verfolgte mit zunehmender Besorgnis, wie Salomo die Hände zu Fäusten ballte. Nicht mehr lange und Adam würden einige Zähne fehlen. Doch sie konnte die Worte des Gelehrten kaum entkräften. Paris mochte feige gehandelt haben, aber es stimmte, deren Kinder würden den Winter überleben.
„Salomo ...“
Der Mann unterbrach sie mit einem einzigen Blick, als er sich Adam zuwandte und sagte: „Für solche Worte, und diesen unterschwelligen Vorschlag alleine, sollte man dich in die Wildnis schicken. Vielleicht würden sich die Dämonen deiner sogar annehmen. Ich hingegen ziehe es vor, einen anderen Weg zu gehen, als den der Arschkriecherei.“
„Und der wäre?“, zeigte sich Adam wenig beeindruckt.
Salomo gab ihm keine Antwort, stattdessen warf er ein fünf Finger dickes Buch auf den Tisch. Worum genau es sich dabei handelte, wusste Didi nicht. Adam hingegen schien es zu kennen, da seine blauen Augen abwechselnd zwischen dem Buchtitel und Salomo hin und her flogen.
„Was willst du damit sagen?“, fragte der Gelehrte leise nach.
„Du bist der Mann des Wissens, also sag du es mir. Wo du doch so klug bist.“
„Es beweist nichts.“
„Ach nein? Mein Name, meine Fähigkeit die Menschen zu einen. Ich hab‘ diese Untergrundbewegung aufgebaut. Ohne mich würde ein Großteil noch immer für die Dämonen Sklavenarbeit verrichten. Und soweit ich mich entsinne, zähltest du ebenfalls zu diesen, nicht wahr, Adam?“
Die Miene des Gelehrten verfinsterte sich aufs Neue. Didi hingegen konnte nur ahnen, worauf dieses Gespräch hinauslief. Und die Entwicklung veranlasste sie dazu, sich zum ersten Mal zu fragen, was so schlecht daran sein sollte.
„Wir haben das bereits diskutiert. Jeder weiß, wie wenig die Menschen von so etwas halten. Und es gibt keine Beweise. Ein Name sagt zu wenig über eine Abstammung aus. Außerdem ...“
„Nicht wenn ein Gelehrter es bezeugt“, unterbrach Salomo den Mann.
Adam wandte sich so abrupt ab, dass seine schulterlangen Haare wie ein Peitschenschlag durch die Luft knallten. Er schien beleidigt darüber zu sein, was Salomo von ihm verlangte. Obwohl Didi nach wie vor nicht sicher war, ob sie die Zusammenhänge richtig verstand.
„Was würde es für uns bedeuten?“, fragte sie darum nach.
„Wir wären eine Einheit. Die Menschen hätten jemanden zu dem sie aufblicken könnten und ...“
„... einen den sie verurteilen würden, sobald es nicht nach ihren Wünschen läuft“, kam der Gelehrte Salomo zuvor.
„Nur wenn man es dumm anstellt.“
„Es kann gar nicht klug sein! Sonst wäre dieses System nicht bereits vor mehr als drei Jahrzehnten den Bach runter gegangen! Die Leute sind stets nur im ersten Augenblick glücklich. Solange sie jemanden haben, der glaubt, alles zu wissen. Aber sobald die ersten falschen Entscheidungen getroffen sind, ist es damit vorbei.“
Didi war wenig überzeugt von Adams Ansichten. Es mochte stimmen, allerdings waren Salomos Entscheidungen bisher nicht besser oder schlechter gewesen, als von einem anderen.
„Und wer sollte dieses Amt, als Anführer, übernehmen?“, wollte sie wissen.
Adams Augen hingen an dem Buch, während Salomo schwieg. Es war eine bedrückende Stille, welche auf Didi befremdlich wirkte.
„Sag es ihr, na los“, forderte Adam.
Salomos dunkle Augen durchbohrten sie förmlich, als er entgegnete: „Ich, natürlich. Oder wer sollte es deiner Ansicht nach sonst sein?“
„Du?“, fragte sie zweifelnd nach.
„Natürlich! Außerdem wäre ich kein einfacher Anführer. Meine Stellung müsste die eines Königs sein. Ein König unter den Menschen. Wenn die Großfürsten Könige besitzen, warum nicht auch wir?“
„Bist du verrückt geworden?“
„Was soll diese dumme Frage?! Ich bin der geborene König. Immerhin stamme ich aus der Blutlinie Salomons ab. Somit steht es mir zu König zu sein.“
„Es steht dir zu? Du bist ein verdammter Idiot. Du hast Kimi auf dem Gewissen und jetzt willst du König spielen?!“, fuhr Didi ihn erbost an.
„Ich will es nicht spielen, ich bin es. Und wenn dir das nicht passt, dann ...“
„Du bist doch nicht mal in der Lage mit Adam und mir ein Gespräch zu führen. Wie kannst du dann glauben, es mit einem Großfürsten zu können?“
Sie wollte es nicht glauben. Salomo war nicht nur wahnsinnig, er war auch noch naiv. Allein seine impulsive Art würde jede Verhandlung zum Scheitern bringen. Aber davon müsste ihn erstmal einer überzeugen. Und Didi ahnte bereits, dass er auf sie nicht hören würde. Vielleicht konnte sein Freund Alex etwas ausrichten. Doch selbst das war ungewiss.
„Wer sagt, dass ich so was vorhabe?“
„Du verdammter Idiot führst uns noch in den Tod! Jeder gute König muss verhandeln können. Glaubst du etwa, Bael hätte sich sonst so lange unter den Großfürsten bewährt?! Er ist der treueste Handlanger Luzifers. Er verfügt über genügend Entscheidungsgewalt. Aber deshalb droht er einem nicht ständig!“, warf Adam ihm vor.
Salomos Faust traf dermaßen schnell Adams Gesicht, dass diesem nicht mal Zeit blieb zu reagieren. Vielmehr war er im nächsten Moment damit beschäftigt sich die Hand auf den Mund zu pressen. Dabei entging Didi keineswegs, wie der Gelehrte sie Hilfe suchend anblickte. Aber sie war keineswegs bereit ihn zu unterstützen. Nicht weil er unrecht hatte, sondern weil es nur wenige Menschen auf dieser Welt gab, die Salomo einen Idioten nennen durften. Und Adam zählte nur bis zu einem gewissen Maße zu diesen Personen.
Salomo atmete hörbar ein und aus, bevor er murmelte: „Du magst recht haben, Adam. Aber wenn du so überzeugt bist, ist es wohl am besten, wenn du deine Sachen packst und zu Bael verschwindest, wo er dir doch so sympathisch zu sein scheint.“
Didi trat einen Schritt auf ihn zu, als sie meinte: „Salomo, ich bin mir sicher, er hat es nicht so gemeint. Aber Tatsache ist, du bist ein impulsiver Mensch. Was, wenn die Leute genauso auf deine Selbsternennung reagieren? Sie werden Beweise verlangen. Das ist unumgänglich. Und zuerst mal muss diese Linie wirklich, und damit meine ich wirklich, zu einhundert Prozent bestätigt sein. Sonst kannst du dich gleich selbst in der Wildnis aussetzen.“
„Außerdem ändert es nichts an der derzeitigen Lage“, nuschelte Adam.
Didi sah den Gelehrten von der Seite an. Blut floss zwischen seinen Fingern hervor. Es lief auch über sein Kinn hinweg und beschmutzte das ohnehin fleckige Hemd. Eventuell hatte Adam der Schlag mehr als nur eine aufgeplatzte Lippe beschert. Vielleicht hatte er sogar einige Zähne eingebüßt. Aber er besaß soviel Gelassenheit diese nicht vor Salomo auf den Boden zu spucken.
„Es mag unsere Lage nicht ändern. Aber wenn wir erstmal erklärt haben, dass ich über alle Menschen der alleinige Herrscher bin, dann ...“
„Du meinst, über unsere Gruppe“, korrigierte Didi ihn.
Als hätte sie ihn gerade geschlagen sah Salomo sie fassungslos an, als er sich brüskierte: „Wozu sollte ich nur über unsere Gruppe walten wollen? Ich rede hier von der gesamten Menschheit. Uns, den Sklaven und auch allen anderen.“
„Größenwahnsinn“, hörte sie Adam wispern.
Salomo konnte nicht so schnell reagieren, wie Didi seine erneut zur Faust, geballte Hand packte. Gleichzeitig schüttelte sie entschieden den Kopf. Zwar mochte es Salomo zustehen den Gelehrten tot zu prügeln, aber damit wäre keinem geholfen.
„Du solltest gehen“, meinte sie an Salomo gewandt.
„Warum?! Er ist es, der sich vor mir verantworten soll. Ich habe ihm damals sein wertloses Leben gerettet und jetzt verlange ich einen Gefallen und er ist nicht bereit, ihn mir zu erweisen!“
„Geh jetzt“, wiederholte sie ihre Forderung.
Salomo riss sich aus ihrem festen Griff los und trat auf Adam zu, als er zischte: „Du bist ein Feigling und ein Narr. Heute hattest du Glück, Adam, aber beim nächsten Mal ist vermutlich keiner zur Stelle, der dir dein wertloses Leben rettet.“
Die Tür fiel überlaut ins Schloss, als Salomo den Raum verließ. Es war der Moment, in welchem Adams angespannte Haltung in sich zusammenfiel. Das war eben der Unterschied zwischen einem Krieger und einem Gelehrten.
Didi beobachtete von ihrem Platz aus, wie Adam nach einem sauberen Tuch griff. Er spuckte einige Male hinein, wobei deutlich der blutige Speichel auszumachen war. Sie hörte es auch leise klackern. Also hatte diese Aktion den Gelehrten tatsächlich einige Zähne gekostet.
„Du hättest besser den Mund gehalten, Adam. Von jetzt an wird er jedes deiner Worte und jede deiner Handlungen hinterfragen.“
„Das mag sein. Aber ich bin ... keiner seiner ... Laufburschen. Ich hab‘ ihm gesagt, was es zu sagen gab. Alles Weitere liegt nicht mehr in meiner Hand.“
Didi schüttelte erneut den Kopf. Ihr war noch nie ein Mensch untergekommen, der so dumm sein konnte. Aber vielleicht war es bei Adam auch das Alter. Siebenundzwanzig war einfach zu jung, um der Gelehrte für alte Männer und Frauen sein zu wollen. Ganzgleich ob man der einzige in der Gruppe war, der lesen und schreiben konnte.
„Mach noch einmal solch einen Scheiß und er wird dich dafür töten.“
„Er stellt im Augenblick keinen Unterschied zu den Dämonenfürsten dar“, nuschelte Adam, während er an einem lockeren Zahn hantierte.
„Junge, du schaufelst dir noch dein eigenes Grab.“
Sie konnte dabei ein schiefes Lachen nur schwer verbergen. Aber Adam reagierte darauf ohnehin nicht, obwohl er genau in den Spiegel sah und somit in ihr Gesicht. Ein wehmütiger Ausdruck lag in seinen Augen, doch Didi erlag diesem nicht. So groß ihr Bedürfnis nach menschlicher Nähe sein mochte, mit Adam würde sie niemals etwas anfangen. Es war schließlich deutlich, dass er sich von seinen Ansichten gegenüber den Großfürsten niemals abbringen lassen würde. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie in Adam mehr einen sehr jungen Bruder sah. Und zudem interessierte er sich sowieso nicht für sie. Für keine Frau, um genau zu sein. Adam bevorzugte die Gesellschaft von Männern. Ein Umstand, den Didi bereits vor langer Zeit erkannt hatte. Über den sie jedoch niemals urteilen würde. Schließlich brauchte jeder einen Menschen, an dem er sich festhalten konnte.
„Ich muss los. Kommst du alleine zurecht?“
„Was glaubst du denn, Didi? Dass Salomo mit seinen Leuten draußen wartet, bis du verschwunden bist? So dumm ist er nicht. Er braucht mich noch“, erwiderte Adam patzig.
„Ja, das ist es, was mir Sorgen macht. Noch braucht er dich, aber irgendwann wird er dich los sein wollen.“
„Soll er, wenn’s ihn glücklich macht.“
Didi strich sich die Haarsträhne zur Seite und stieß hörbar die Luft aus. Es hatte keinen Sinn mit Adam weiter zu reden. Darum verließ sie wortlos den gläsernen Raum. Ihre Schritte lenkte sie nach Osten. Sie hielt auf einen ausgebrannten Waggon zu, in welchem sich ihre Bar befand. Man hatte eben aus der Not eine Tugend gemacht. Die Waggons dienten nun als neue Behausung und Didi war damit nicht unglücklich. Immerhin besser als die Baracke in Präsident Marbas Stadt, in welcher sie geboren und aufgewachsen war.
Bis heute konnte sie nicht sagen, warum gerade ihr die Ehre der Priesterin zu Teil geworden war. Schließlich hatte sie nicht mehr als andere Leute in diesem Krieg verloren. Und erst recht war sie kein gläubiger Mensch. Am besten war es ohnehin einzig auf sich selbst zu vertrauen.
Sie schob die Waggontüre beiseite und betrat den dunstigen Raum. Schwere Rauchwogen hingen in der Luft. Gestern war das erste Mal seit Wochen gewesen, da sie sich oberhalb dieses Ameisenhaufens befunden hatte. Und die Zeit hatte sie keine Sekunde genießen können. Jetzt wünschte sie sich nichts mehr als die saubere Luft zurück. Aber es war zu gefährlich bei Tag an die Oberfläche zu treten. Stellte es doch bereits des Nachts ein Risiko dar.
„Na endlich! Wo hast du so lange gesteckt?!“, erschallte es Didi entgegen.
Sie musste ein Grinsen unterdrücken, als sie Greg Scoutes ausmachte. Wie jeden Tag saß er auf einem der Barhocker und lehnte mit verschränkten Armen auf der Theke.
„Hast dir ja lange Zeit gelassen. Wie war das Treffen zwischen Salomo und Adam? Haben sie sich geeinigt?“
Didi nahm ihren Platz hinter der Bar ein und holte eine Schnapsflasche hervor. Sie schenkte Greg davon ein, bevor sie selbst direkt die Lippen daran setzte und einen großen Schluck nahm.
„So beschissen also“, beantwortete der Mann seine eigene Frage.
„Schlimmer. Adam hat ein paar Zähne eingebüßt, weil er sein Maul nicht halten konnte.“
„Na wenigstens muss er sich jetzt keine Gedanken mehr machen, ob er Harrys Haferschleim kaut oder gleich schluckt“, scherzte Greg unbeholfen.
Didi schmunzelte. „Ja, die Entscheidung ist ihm eindeutig abgenommen worden.“
„Was hat unseren friedliebenden Gelehrten so aufgeregt, dass er Salomo dazu brachte?“
Sie gab dem Mann keine Antwort darauf. Vielmehr besah sie seine Gestalt. Für fünfunddreißig wirkte Scoutes alles andere als jung. Die braunen Augen lagen tief in den Höhlen. Zudem wies sein blondes Haar an den Schläfen bereits ein deutliches Grau auf. Einzig die sonnengebräunte Haut stellte einen eigenartigen Kontrast zum überwiegenden Teil der Bewohner dar.
„Keine Antwort? War es so ein Scheiß?“, fragte Greg nach.
„Kann ich dir nicht sagen.“
„Kannst du nicht oder willst du nicht, Didi? Du weißt doch, ich verrate niemanden irgendwas. Außer es ist wichtig für das Wohl aller.“
Greg hatte recht. Müsste Didi ihn beschreiben, käme er dem, was sie Familie nannte, wohl am nächsten. Der einzige vertrauenswürdige im Untergrund. Nur ihm hatte Didi – vor Jahren –erzählt, was mit ihrer Familie geschehen war. Wie die Dämonen über sie hergefallen waren. Über ihre Brüder und Schwestern. Wie man ihre Mutter vergewaltigt und ihrem Vater den Bauch aufgeschlitzt hatte. Trotzdem konnte sie ihm das heutige Gespräch nicht anvertrauen. Nicht solange Adam keine Beweise in Händen hielt. Und eventuell wäre es sogar besser, Salomo sagte es den Leuten selbst. Vermutlich würden sich einige hintergangen fühlen, aber wenigstens bräche dann nicht gleich ein Tumult los.
„Na gut, wenn du nicht darüber reden kannst oder willst, schenk wenigstens nach.“
Sie kam seinem Wunsch nur zu gern nach. Brachte es Didi doch zugleich auf den Gedanken, dass er von morgens bis spät nachts hier saß. Obwohl er einer der besten Kundschafter der Gruppe war. Aber seit einem Monat verließ er ihre Bar nur, um seinen Rausch auszuschlafen und manchmal nicht mal das. Dann ließ sie ihn einfach liegen, wo er gerade umfiel.
„Warum bist du hier, Greg? Ich mein, warum sitzt du in meiner Bar und bist nicht da oben? Du solltest neue Kundschafter ausbilden. Was ist vor einem Monat geschehen?“, fragte sie leise.
Er gab ihr darauf, wie so oft, keine Antwort. Vielmehr stieß Greg hörbar den Atem aus und sah in sein Glas, ehe er einen großen Schluck daraus nahm.
„Frag‘ nicht, Didi. Ich hab‘ es bei deiner Geschichte genauso gehalten. Außerdem ist jeder ein Idiot, der glaubt, da oben etwas ausrichten zu können.“
„Was wenn Salomo zu einem erneuten Schlag gegen die Großfürsten antreten will? Er muss doch erfahren, was los ist“, hielt sie dagegen.
„Das weiß er so oder so. Jeder in diesem verdreckten Untergrund kennt die Antwort. Es gibt niemanden der Kimis Leiche nicht gesehen hätte. Und keiner braucht sagen, er wäre nicht einmal dabei gewesen. Die Kinder mögen die einzigen sein, die das behaupten dürfen. Aber selbst denen machen wir mit Geschichten über Legionen von Dämonen Angst, wenn sie ihren Haferschleim nicht aufessen wollen.“
Didi neigte sich vor und flüsterte: „Sag es mir, Greg. Ich muss es einfach wissen.“
Noch immer schüttelte der Mann entschieden den Kopf, aber es war deutlich, dass er sich die Last von der Seele reden musste. Und sie, als Priesterin, sah es als ihre Pflicht an ihm zuzuhören.
„Du kannst mir vertrauen, Greg. Ich würde niemals über dich urteilen. Immerhin hab‘ ich selbst furchtbare Dinge getan.“
Er sah von seinem Glas auf und hielt es ihr hin, während er murmelte: „Du hast versucht zu überleben, Didi. Ich hingegen habe Männer in den Tod geführt.“
Didi stellte die Flasche auf den Tresen. Sie sah ihm schweigend entgegen. Zum ersten Mal verstand sie Greg nicht. Er war stets alleine unterwegs, das brachte die Aufgabe eines Kundschafters mit sich. Wie also hätte er jemanden in den Tod führen sollen?
Scheinbar sah man ihr diese Frage überdeutlich an, da er mit einem Mal lächelte und meinte: „Ich verstehe deine Zweifel, aber ich bin nicht verrückt. Ich war es, der Kimi auf seinen ersten Auftrag begleitete. Der Narr, der ihm sagte, was zu tun ist, war ich. Das einzige was ich ihm verschwieg, war, wie brutal die Dämonen mit einem umspringen, wenn sie uns in die Finger bekommen. Wir sind genauso wenig wert wie die Boten. Unser Leben ist verwirkt, sobald wir mit dem großen Zeh aus dem sicheren Eingang sind. Dann gibt es kein zurück. Wir können uns nicht einfach umdrehen und nach Hause laufen. Damit würden wir die Dämonen nur auf unsere Verstecke aufmerksam machen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als ... einen schnellen Tod zu finden.“
Didi wurde klar, welcher Gefahr sich die Männer damit aussetzten. Aber es geschah zum Wohle aller und sie war überzeugt, dass die Aufgaben in den nächsten Monaten nicht geringer ausfallen würden. Umso mehr ein Grund, warum Greg nicht hier herumsitzen sollte.
„Du kannst mich jetzt gern verurteilen, Didi, aber nichts wird mich je wieder da hinaufbringen. Und wenn einer meiner Söhne den Wunsch äußert, es mir nachmachen zu wollen, erschlage ich ihn vermutlich. Das ist ein weit gnädigerer Tod, als die Dämonen einem erweisen. Und jetzt schenk nach.“
Sie erfüllte seine Bitte erneut. Während der klare Schnaps ins Glas floss, hörte sie Greg murmeln. Es waren zusammenhanglose Sätze. Womöglich wünschte er sich seine Frau zurück, oder er sprach mit den Geistern seiner Ahnen. Didi überließ ihn seinen trüben Gedanken. Alles war besser, als sich weiterhin seine Worte anzuhören. Denn so nahe sie der Wahrheit auch sein mochten, es durfte nicht stimmen. Sonst wäre Salomo schneller abgesetzt und den Großfürsten geopfert als ihm lieb sein konnte.
„Ich habe einen Dämon getötet“, wisperte sie vor sich hin. „Damals, als meine Familie ... Ich glaub, er war es, der meine Schwester vergewaltigte. Aber ich könnte mich auch irren. Vielleicht hat er meinen Vater getötet oder einen meiner Brüder. Ich bin nicht stolz darauf, aber ...“
„Du hast getan, was getan werden musste, Didi. Du hast überlebt. Du bist hierher gekommen und jeder respektiert dich. Aber ich habe ein Kind in den Tod geführt. Ein unschuldiges Wesen. Du hast seine gebrochenen Knochen nicht gesehen. Er war kaum noch zu erkennen, nachdem die Dämonen mit ihm fertig waren. Das ist es, was sie einem niemals erzählen. Keiner macht das, sonst würden wir nicht freiwillig in den Tod gehen.“
Didi blickte von der Theke auf, als sie verwundert feststellte: „Du sprichst nicht von Kimi.“
„Nein. Ich hab‘ keine Ahnung, wer der Knabe war. Einer dieser Dämonen, was weiß ich, welchen Rang er hat, vielleicht hat er auch gar keinen, er schleifte ihn durchs Unterholz. Der Junge hat geschrien. Er hat um Gnade gewinselt. Ich glaube sogar, er hat geweint. Der Dämon brüllte ihn an. Er war keiner von unseren Kundschaftern. Muss einer aus Warschau gewesen sein. Jedenfalls hat er nicht geantwortet, oder besser gesagt, nicht das richtige. Der Dämon hat seinen Kopf gepackt und gegen einen Stein geschlagen. Immer wieder. Ich krieg dieses Bild einfach nicht aus dem Kopf, ganz gleich wie viel ich trinke.“
„Es war nicht deine Schuld, Greg.“
Der Mann hob gleichgültig die Schultern, als er murmelte: „Mag sein, aber er hatte eine Familie. So jung war er nicht, dass er keine gehabt hätte. Wenn die auf ihn warten, sind sie dumm. Und das ist es, was mich ankotzt. Dieses ewige Warten auf die Rückkehr der Leute. Von zehn schafft es vielleicht einer und von Hunderten noch weniger. Und dann gibt es Männer, wie Salomo, die glauben, mit ihren sinnlosen Handlungen etwas bewegen zu können. Jetzt haben wir halt ein Maul weniger zu stopfen.“
Es war eine traurige, aber zugleich wahre Aussage. Jeder Esser weniger war für die Gemeinschaft ein weiterer Tag des Überlebens. Und obwohl Didi ihrem Gegenüber insgeheim recht gab, war sie doch überzeugt, dass Salomo vielleicht etwas bewirken konnte. Und sollte es nur sein, Männer wie Greg und Adam von seinen guten Absichten zu überzeugen.

Seere

Der laue Wind des Tages strich dem Prinzen, unter den Großfürsten, übers Gesicht. Das kinnlange braune Haar bewegte sich sachte.
Seere liebte es auf dem Rücken seines Pegasus zu sitzen und die Distanzen zwischen den Städten auf diese Weise zu überbrücken. Gelegentlich huschten seine Augen zu den Feldern hinab, um sich zu vergewissern, dass er sich auf dem rechten Weg befand.
Heute trieb ihn nicht nur die Sehnsucht nach Nitra, sondern auch ein Auftrag. Seine Leidenschaft gründete keineswegs auf dem dortigen Regenten, dem Präsidenten der Hölle, Ose. Es war vielmehr dessen Heilerin Perla. Die Frau war bereits viel zu lange nicht mehr in seiner Nähe gewesen. Und heute würde er sie Ose abkaufen. Nach allem was Seere und sein Vorstehender Amymon für den Präsidenten geleistet hatten, eine unbedeutende Bitte. Aber für die Großfürsten im Allgemeinen konnte es einen entscheidenden Schlag gegen den Untergrund bewirken.
„Er wird sie dir überlassen“, hörte er Amymons Stimme erneut in seinen Ohren.
Bei seinem Aufbruch war Amymon überraschend großherzig gestimmt gewesen. Doch vielleicht hing dies auch mit der Nachricht aus Paris zusammen. Schließlich waren Naberius nicht nur aus Liebe die Kinder ausgehändigt worden. Auch unter diesen Menschen hatten sich jene eingefunden, welche selbst einmal Sklaven gewesen waren. Und genau diese hatten die anderen überzeugt. Das gleiche sollte nun mit Perla geschehen. Wobei der Gedanke, sie nach Breslau zu bringen, für Seere eine Qual darstellte. Würden sie sich doch nicht sehen können. Aber wenigstens stand sie unter seinem direkten Schutz.
Er erreichte Nitra mit der untergehenden Sonne. Auf dem einstigen Marktplatz ließ er sich nieder, wobei die Sklaven erschrocken zu allen Seiten davon wichen. Von den Dämonen wurde Seere keines Blickes gewürdigt und selbst die Menschen senkten die Köpfe, als er an ihnen vorbeischritt.
Eine geraume Zeit über war der Prinz der Vorstellung erlegen, dies hinge mit seinem wunderschönen Gesicht zusammen, doch dann hatte er die Wahrheit gehört. Das Gesetz der Großfürsten verbot es den Menschen, ihnen direkt in die Augen zu blicken. Und wagte es doch einmal jemand, verlor er damit sein Leben. Eine einfache Regel, an die sich jeder hielt. Zumindest fast, denn Perla tat es in seiner Gegenwart nur selten. Wobei sie sich auch sonst kein Blatt vor den Mund nahm, um den Großfürsten ihre Ansichten darzulegen. Dass ihr dies bereits einige Narben eingebracht hatte veranlasste sie dennoch nie zu schweigen.
Von diesem Gedanken begleitet schritt Seere durch die schmalen Gassen. Die Hufschläge seines Tieres drangen dabei überdeutlich an seine Ohren. Nur gelegentlich vergewisserte er sich, mit einem Blick über die Schulter, dass der Pegasus ihm noch folgte. War das gesprungene Kopfsteinpflaster doch für die Hufe alles andere als geeignet.
„Ihr seid früh“, erklang es abrupt zu seiner linken Seite.
Seere machte sich nicht die Mühe, das Wesen anzusehen. Tokolosh hatte seiner Ansicht nach nichts in der Welt der Menschen verloren. Aber das mochte daran liegen, dass Seere selbst mehr ein friedliebender Großfürst war. Sein unerwarteter Begleiter jedoch trieb die Menschen solange in den Wahnsinn, bis sie sich gegenseitig umbrachten.
„Es kann dir gleich sein, ob ich zu früh bin. Der Präsident erwartet mich. Also halte mich nicht auf“, wies er Tokolosh zurecht.
„Darf ich Euch den Weg weisen, Prinz?“
Die Verachtung war kaum zu überhören, dennoch machte Seere gute Miene zum bösen Spiel. Wäre es nach ihm gegangen hätte er den Dämon längst getötet, aber er stand in Oses Diensten. Und solange Seere die Heilerin nicht in den seinen wusste, war es glatter Selbstmord die Hand gegen einen Untergebenen eines Großfürsten zu erheben. Besonders wenn dieser so mächtig war wie Ose. Wofür alleine seine dreißig Legionen Dämonen sprachen.
Mit äußerstem Widerwillen folgte Seere dem Dämon. Zugleich schickte er seine Augen auf Wanderschaft. Er besah sich die Menschen genauer, welche ergeben den Blick senkten. Bis auf einige wenige Ausnahmen handelte es sich überwiegend um Kinder. Sie schienen noch jung zu sein, doch ihre Augen sprachen von Dingen, die sie niemals hätten sehen dürfen.
„Ich hoffe, Amymon konnte Euch entbehren? Immerhin kommen erschreckende Nachrichten aus London. Von Aufständen wird berichtet“, hörte er Tokolosh sagen.
Er bedachte die Gegend mit einigem Missfallen. Nitra war früher eine blühende Stadt gewesen. Heute standen lediglich ausgebrannte Häuser und ein paar verfallene Mauern. Selbst London war in einem besseren Zustand. Oder zumindest versuchte Amymon es zu seinem früheren Glanz zurückzuführen.
„Das ist wohl kaum deine Angelegenheit. Und zudem ist es nur halb so schlimm, wie behauptet wird. Also kümmre dich um deine eigenen Angelegenheiten“, wies er den Dämon zurecht.
„Natürlich, Prinz.“
Die gespielte Unterwürfigkeit ließ Seeres Blut weit mehr kochen, als die offene Verachtung. Er wusste selbst, wie unbeliebt er unter den Großfürsten war. Allerdings änderte dies nichts an seiner Haltung seinem Umfeld gegenüber.
Den gesamten Weg, hinauf zur Burg, begegneten ihnen Katzen. In all ihren Formen und Farben. Seere schenkte ihnen so wenig Beachtung wie möglich. Er mochte die Tiere zwar, aber genau das war auch seine Schwäche. Bemerkten es die Katzen erstmal würde er diese nicht mehr los. Und das würde sein Ansehen nicht gerade steigern. Besonders vor solch verschlagenen Gestalten wie Tokolosh eine war.
Sie kamen vor dem Tor von Burg Nitra zum Stehen. Soweit man von einem Tor überhaupt sprechen konnte. Schließlich war wenig von der Burgmauer geblieben. Die Folgen des Krieges waren noch immer zu sehen. In ihrer Angst hatten die Menschen sich am Ende des Krieges hier eingesperrt. Mit ihren Kanonen und Sprengstoffen hatten sie einen Großteil der Burg zerstört, aber das was noch übrig war, konnte sich dennoch sehen lassen. Obwohl er selbst gewiss nicht die Kathedrale des heiligen Emmeram als Wohnsitz erwählt hätte.
Er erhöhte sein Tempo und ließ Tokolosh damit hinter sich herlaufen. Es mochte für den Dämon keine Erniedrigung darstellen, aber Seere fühlte sich dadurch in seiner Stellung bestätigt. Und Macht war niemals zu unterschätzen.
Vor der Tür zur Bischofsresidenz hielt Seere einen Augenblick inne. Er warf einen Blick über seine Schulter hinweg, doch von Tokolosh war nichts zu sehen. Vermutlich wollte der Dämon einer Erniedrigung vor seinem Herrn entgehen.
Entschlossen legte Seere die Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf. Er betrat in einen karg möblierten Raum. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Leopard vor dem entzündeten Kamin erblickte. Offensichtlich war er wirklich zu früh, war der Präsident doch noch mit der Fellpflege beschäftigt.
Die drei Sklaven, welche eben die Bürsten erneut ansetzten, hielten bei Seeres Erscheinen inne. Angst lag in ihren Augen. Sie schienen nicht zu wissen, ob sie nun gehen sollten oder weitermachen. Denn Ose schnurrte mit geschlossenen Augen vor sich hin. Und er war dabei nicht der einzige. Die Schar an Katzen – um ihn – beeindruckte selbst Seere.
„Tokolosh sagte mir bereits, dass ich zu früh wäre“, meinte er.
Er schloss die Tür und lehnte sich gegen die Wand neben der selbigen. Dabei beobachtete er mit einem Schmunzeln, wie Ose unter seiner Stimme zusammenfuhr. Die Gestalt des Präsidenten wechselte für einen kurzen Moment zu der eines Menschen, ehe der Leopard beibehalten wurde. Einzig die Katzen ließen sich von dem Prinzen nicht stören. Eine rollte sich sogar auf den Rücken.
„Prinz! Ihr solltet angemeldet werden.“
„Mag sein, aber Tokolosh zog es wohl vor, draußen zu warten. Ich komme doch wohl nicht ungelegen?“
„Nein“, blaffte Ose. „Los, verschwindet!“
Die Sklaven zogen sich hastig zur Tür zurück. Dabei beging einer von ihnen den Fehler, Seere in die Augen zu blicken. Der Prinz kam nicht umhin die Person durchdringend anzusehen. Es lag weniger Verachtung in seinen Augen, als vielmehr Verwunderung. Selten getraute sich jemand dieses Verhalten so offen zu zeigen. Wobei sich Seere zugleich vergewisserte, dass es dem Präsidenten entgangen war. Immerhin lag ihm nichts daran, für den späteren Tod eines einfachen Mannes verantwortlich zu sein. Zumal dieser sich auf den zweiten Blick als dürres Mädchen herausstellte. Eine Situation, für die er noch weniger die Verantwortung übernehmen wollte. Also schwieg er.
Er schloss die Tür hinter den Sklaven, während er an Ose gewandt erklärte: „Ich vermute, Amymon hat Euch bereits unterrichtet. Ihr werdet sie mir aushändigen.“
Ose erhob sich von seinem Platz vor dem Kamin und spazierte zum Fenster. Es behagte Seere nicht, dass sein Gegenüber kein Wort verlor. Eventuell war er auch gar nicht bereit Perla herauszugeben. Aber erschien es dem Prinzen unwahrscheinlich, dass der Präsident einen Krieg beginnen wollte. Nicht gegen jemanden wie Amymon.
„Habt Ihr mich gehört?“, fragte er nach. „Ihr werdet sie mir überlassen. Amymons Angebot fällt mehr als großzügig aus.“
Einige der Katzen unterbrachen ihre Fellpflege. Sie starrten Seere mit zusammengekniffenen Augen an. Lediglich eine von ihnen, eine graue, erhob sich und spazierte um seine Füße herum. Damit beschäftigt, einige Haare an seinem Hosenbein zu hinterlassen.
„Ich habe Eure Worte sehr deutlich vernommen, Prinz. Und ja, Amymons Nachricht erreichte mich. Allerdings drängt sich mir eine Frage auf. Warum sollte ich seinem Wunsch nachkommen? Nichts garantiert, dass es in Breslau zum gleichen Erfolg führt, wie in Paris. Vielleicht verrät uns diese Sklavin sogar. Außerdem würde meinen Legionen eine großartige Heilerin abhanden kommen. Von der gleichzeitigen Liebhaberin will ich erst gar nicht anfangen. Und was das Angebot angeht, fünfzehn Fuhren Getreide erscheinen mir verschwindend gering. Wir reden ja nicht von einer einfachen und unbedeutenden Sklavin. Immerhin weiß ich um Euer Geheimnis. Aber macht Euch keine Sorgen, Prinz, es ist bei mir genauso gut gehütet, wie bei Amymon.“
Seere ballte die Hände zu Fäusten. Wut machte sich in ihm breit. Einmal mehr bestätigte sich sein Verdacht, dass Ose die Frau nicht so beschützte, wie er es versprochen hatte. Aber das war eine Angelegenheit, welche er später noch klären konnte. Oder besser gesagt Amymon. Sollte er sich mit dieser Situation befassen.
„Übergebt sie mir einfach, Präsident. Oder muss ich Euch daran erinnern, dass Ihr in der Rangordnung unter mir steht?“
Der Leopard wandte seinen Kopf ruckartig vom Fenster ab, als er fauchte: „Untersteht Euch mir zu drohen, Prinz! Ich bin der mächtigste Präsident unter allen anderen. Stellt Euch mir in den Weg und Ihr seid eures Lebens nicht mehr sicher!“
„Und haltet mich von meiner Aufgabe ab und Amymon wird Euch vernichten. Abgesehen von meinen sechsundzwanzig infernalen Legionen.“
Es war weniger, als Ose vorweisen konnte. Aber etwas ließ sein Gegenüber zögern eine weitere Drohung auszusprechen. Vielmehr senkte der Leopard mit einer sachten Bewegung den Kopf und trat an ein Glockenspiel heran. Die große Tatze schlug einmal dagegen, wobei der Laut deutlich nachhallte. Die Katzen hoben nur kurz die Köpfe, bevor sie sich erneut ihrem Fell widmeten. Es war für Seere allmählich ein befremdlicher Anblick. Aber jeder Großfürst umgab sich mit seinen eigenen Leuten.
„Sie wird zu uns gebracht, mein Prinz.“
Seere behielt seinen starren Gesichtsausdruck bei, als er knapp nickte. Es bedurfte keiner weiteren Worte zwischen ihnen. Vielmehr wartete er darauf sie endlich zu sehen.
Ihm kam die Zeitspanne ewig vor, bis sich die Tür langsam öffnete. Seine gesamte Haltung verspannte sich für einen Augenblick, als er Tokolosh mit ihr erblickte. Der Dämon stieß Perla in den Raum hinein. Es war erschreckend zu sehen, in welchem Zustand sie war. Ihr Gesicht zeigte grüne und blauviolette Schwellungen. Scheinbar hatte jemand seiner Wut an ihr deutlichen Ausdruck verliehen. Zudem war die Kleidung gerade ausreichend, um das Notwendigste zu bedecken.
„Was ...?“
„Prinz Seere“, begrüßte sie ihn.
Wie so oft senkte sie den Kopf nicht. Eine schwerwiegende Entscheidung, denn Tokolosh holte unvorbereitet aus und schlug ihr in den Nacken. Perla ging unter dem Schlag in die Knie und senkte zugleich das Haupt.
„Leg noch mal Hand an meine Sklavin und du stirbst, Tokolosh“, zischte Seere.
Abscheu machte sich im Gesicht des Dämons breit, als er erwiderte: „Eure Sklavin? Sie gehört Ose und seinen Legionen. Was glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid?“
„Für Euch immer noch Präsident“, mischte sich selbiger ein. „Und jetzt verschwindet, Tokolosh.“
Unter Murren zog sich der Dämon zurück. Seere konnte einfach nicht anders, als Perlas gebeugte Haltung zu betrachten. Sie so auf den Knien zu sehen war kein halb so erhabenes Gefühl, wie er es in Erinnerung hatte. Zumal seine Geliebte unaufhörlich zitterte. Entweder vor Kälte oder sie zeigte zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich Angst.
„Was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte er nach.
„Ein Missgeschick. Einer der Verwundeten hatte wohl Sorge, dass ich versuche ihn umzubringen. Hab‘ ihm das Leben gerettet.“
Die Worte klangen einstudiert und Oses Augen machten deutlich, dass es wohl auch so war. Also würde er diese Unterhaltung auf später verschieben müssen. Um sich abzulenken betrachtete er das lange, braune Haar. Es war verfilzt und an einigen Stellen sogar kürzer. Zudem war deutlich, dass Perlas rundliche Formen irgendwie abhanden gekommen waren. Vermutlich hatte Ose ihr einen Großteil der zugestandenen Nahrung einfach gestrichen.
„Stellt die Papiere aus“, verlangte Seere.
Er sah den Präsidenten dabei nicht an. Lediglich ein raschelnder Laut verriet ihm, dass der Angesprochene gerade seine Gestalt änderte. Selbst Perla musste bei dem Geräusch den Kopf heben. Aber so schnell sie dies tat unterließ sie es auch wider. Ein leichtes Kopfschütteln von Seere genügte dazu. Wobei es unvermeidbar war ihre wunderschönen Augen zu betrachten. Das eine grün und das andere in einem hellblau gehalten.
„Ich hoffe für Euch, dass diese Sache wirklich funktioniert. Sonst fallen wir alle in die Ungnade Luzifers. Wobei es einigen wohl weit schlechter ergehen wird. Außerdem ist es zutiefst bedauerlich, dass meine beste Investition dafür herhalten soll.“
„Sie gehört Euch nicht“, wies Seere den Präsidenten zurecht.
Er hörte die Schritte hinter sich und drehte sich um. Es war keine sonderliche Überraschung, dass eine menschliche Gestalt vor ihm stand. Schockierend dabei war vielmehr dieses durchdringende Leuchten, welches von Ose auszugehen schien.
„Jetzt nicht mehr“, erwiderte sein Gegenüber.
Damit hielt er ihm die Papiere entgegen. Rasch nahm Seere diese an sich. Er streifte keine Sekunde später seinen Mantel ab und reichte ihn an Perla weiter. Während die Heilerin wortlos hineinschlüpfte kam Ose näher. Der Präsident neigte sich soweit zu Seere, dass dieser den warmen Atem an seinem Ohr fühlte.
„Vergesst nicht, Prinz, Ihr mögt über mir stehen, im Rang, doch wird es Euch nichts nützen, wenn Ihr tot auf der Straße liegt. Richtet Eurem Gönner doch bitte aus, dass ich ihm kein zweites Mal einen solchen Gefallen erweisen werde. Und wenn Ihr schon in Breslau auftaucht und Bael Dummheiten ins Ohr flüstert, so sagt ihm zugleich, die Vorräte gehen zur Neige. Er soll so großzügig sein und uns von seinen etwas zukommen lassen.“
„Eventuell liegt es daran, dass Ihr so selbstverständlich Eure Sklaven abschlachtet, Präsident. Ich, an Eurer Stelle, würde diese Art der ... Züchtigung überdenken, sonst sitzt ihr bald alleine hier. Mit nichts als Euren Legionen und diese werden wohl kaum für Euch Getreide anbauen. Genauso wenig wie Eure Katzen“, gab Seere ebenso verächtlich zurück.
„Verschwindet aus meiner Stadt!“, keifte Ose unvermittelt.
„Mit dem größten Vergnügen.“
Seere packte Perla unter der Achsel und zerrte sie auf die Füße. Allmählich war ihm klar, warum Tokolosh sie hergeführt hatte. Perla konnte kaum alleine stehen, davon abgesehen einen Schritt vor den anderen zu setzen. Aus diesem Grund behielt er seine Finger wo sie waren und verließ mit ihr den Raum. Hinter sich hörte er Ose weiter fluchen. Scheinbar war der Präsident ein jähzornigerer Dämon als er und Amymon für möglich gehalten hatten. In der Hinsicht konnten einem die Sklaven leidtun. Aber Seere konnte nicht jeden von ihnen retten. Wichtig war erstmal Perla.
„Kein Wort, bis wir Nitra hinter uns gelassen haben“, murrte er ihr ins Ohr.
Für ihre zwanzig Jahre war die Frau klug genug seinem Wunsch zu entsprechen. Besonders jetzt, wo sie gerade die Burg hinter sich ließen. Es wäre einfacher sich an einen anderen Ort zu wünschen, das wusste Seere. Allerdings kam es ihm falsch vor dies zu tun. Immerhin hätte es nichts mit Befreiung, sondern vielmehr mit Entführung, einer Sklavin zu tun. Zumindest in seinen Augen.
Sie kamen am Fußende des Berges zum Stehen. Vor sich erblickte Seere den Pegasus, der auf ihn wartete. Neben sich ertönte das leise Keuchen von Perla. Scheinbar war sie bereits seit Langem nicht mehr soweit gegangen. Soviel also zu irgendwelchen Verwundeten, die sie geheilt hatte. Er konnte nur hoffen, dass sie noch wusste, wie es überhaupt ging. Abgesehen davon, dass man ihr wohl erstmal das Lügen beibringen musste.
„Komm her“, wisperte er dem geflügelten Pferd zu.
Wenigstens dieses folgte seinen Anweisungen. Gehorsam trabte das Tier über das Kopfsteinpflaster. Als es vor Seere anhielt, ergriff er die Heilerin um die zarte Taille und setzte sie auf den Rücken des Pegasus.
„Seere, du ...“
Seine klaren Augen durchbohrten sie in dem Moment, als er zischte: „Sagte ich nicht, du sollst den Mund halten?“
Bevor Perla eine Antwort gab, ergriff der Prinz die Zügel und führte den Pegasus durch die Gassen. Ihm war selbst klar, dass dieser Anblick befremdlich sein musste. Schließlich sagten ihm das nicht nur die stechenden Blicke der Dämonen. Besonders die Sklaven hielten in ihren Arbeiten inne und starrten. Solange bis einer von ihnen die Peitsche zu spüren bekam.
„Wer sich weiter erlaubt einen Großfürsten anzustarren stirbt! Das gleiche gilt für seine Hure!“, schrie einer der Dämonen.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Seere, wie Perla bei dem Wort zusammenfuhr. Zugleich zog sie den Mantel enger um ihre schmächtige Gestalt. Somit führte er den Pegasus schneller durch die Gassen. Weiter fort von den Dämonen, den Sklaven und dem was sie erlitten hatte. Letztlich ließen sie Nitra hinter sich. Seere schwang sich hinter Perla auf den Rücken des Tieres. Die Feldstraße zog unter ihnen hinweg. Raben kreischten über ihnen, während Perla sich allmählich entspannte. Ihr Kopf sank gegen seine Brust. Sachte streifte ihr Atem seine Haut. Dabei konnte er ein aufsteigendes Lächeln nicht zurückhalten. Ganz gleich, was ihr widerfahren war, bei ihm fühlte sie sich geborgen.
Ihre dunklen Finger krallten sich für einen Moment in sein Hemd, während sie murmelte: „Es tut mir leid, Seere.“
Ihm war unklar, wofür sie sich entschuldigte. Vielleicht hing es mit dem Streit zusammen, den sie bei ihrer letzten Begegnung gehabt hatten. Eventuell war es auch der Schlag gewesen, den sie ihm damals verpasst hatte. Dass dies bereits ein gutes Jahr zurücklag, änderte wohl nichts an ihrem schlechten Gewissen. Besonders, da sie noch keine Ahnung hatte, was von ihr erwartet wurde. So oder so war es jetzt nicht an der Zeit darüber zu sprechen. Das konnte später erledigt werden.
Somit strich seine Hand sanft durch ihr Haar, während er leise sagte: „Schlaf, meine Schöne. Wir sprechen später über alles.“
Erneut drang ein unverständlicher Laut über ihre Lippen. Seeres Augen glitten zum Himmel empor. Dunkle Wolken zogen auf. Er hoffte, dass es kein böses Omen darstellte, sonst wäre dieses ganze Unterfangen bereits jetzt zum Scheitern verurteilt. Und eine Niederlage stand für einen Prinzen unter den Großfürsten gewiss nicht an erster Stelle.



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